Industrie 4.0 – die Zukunft der Produktion oder ein Ungeheuer mit zu vielen Köpfen?

Es wird viel geredet über diese ominöse Industrie 4.0, und das auch schon ziemlich lange. Was genau dieser Begriff aber nun bedeutet, das weiß kaum jemand so wirklich – und wie sich Industrie 4.0 in der Realität niederschlagen wird, das weiß erst recht niemand, und zwar noch viel weniger...

Eins können wir aber sagen: Die klassischen Industrien werden zunehmend digitalisiert. Produkte und Fertigungsprozesse sind mit- und untereinander vernetzt, und das Wissen um Prozesse und Fertigung fließt immer stärker in die Produktionssysteme ein. Die Ziele sind klar: Ein höherer Automatisierungsgrad, die Entwicklung intelligenter Monitoring- und autonomer Entscheidungsprozesse sowie die Optimierung der Wertschöpfungskette.

Effizienz schwebt über all diesen Dingen als zentraler Begriff – und Sprach- und Gestensteuerung nehmen zur Steigerung der Effizienz eine Schlüsselrolle ein, da sie zum Beispiel den Zugriff auf Informationen und Prozesse erlauben, währen der Mensch gleichzeitig eine primäre Tätigkeit, wie zum Beispiel den Rüstvorgang, durchführen kann.

ANWENDUNGSBEISPIELE FÜR MULTIMODALE MENSCH-TECHNIK-INTERAKTION

11_05_2015-industrie-4-0-dfki-smart-factoryIm Szenario eines interaktiven Handbuchs begleitet ein virtuelles Handbuch den Nutzer bei Produktionsprozessen, unterstützt ihn bei Serviceaufgaben und dient der Qualitätssicherung. Produktions- und fertigungsrelevante Informationen können so individuell und situationsabhängig bereitgestellt werden, ein punktgenauer Zugriff auf Wissen wird ermöglicht und es bestehen berührungsfreie Interaktionsmöglichkeiten. Zusätzlich entstehen flexible Präsentationsmöglichkeiten durch Einbindung von Multimedia-Inhalten, interaktiven Sequenzen, Animationen etc. Selbst die Einbindung von Live-Daten über Backend-Systeme (Baupläne, Checklisten etc.) ist möglich.

Eigentlich ein No-Brainer, doch in der Realität eine Herausforderung: Die Sprachsteuerung von Maschinen und Prozessen. Egal ob zum Datenabruf von ERP-Systemen, zur Datenerfassung zum Beispiel bei der Qualitätskontrolle, oder zur Umschaltung von Betriebsmodi bei Maschinen und Geräten, die Vorteile liegen auf der Hand: Der Nutzer spart Zeit (statt handschriftlicher Erfassung von Daten und späterer Übertragung am PC ist nur noch ein Arbeitsschritt notwendig), durch die Unterbindung von Medienbrüchen wird die Datenqualität erhöht und der Effizienzgewinn durch gleichzeitiges Verrichten von Arbeitsschritten ist potenziell enorm. Die angesprochenen Herausforderungen sind:

  • Die Mikrofonierung muss situationsgerecht definiert und installiert werden.
  • Intelligente Filterfunktionen zur Unterdrückung von Hintergrundgeräuschen und zur Verbesserung der Signalqualität müssen integriert werden.
  • Über den Einsatz zusätzlicher Ein- und Ausgabemodalitäten, wie z.B. Datenbrille, Gestensteuerung etc. muss nachgedacht werden.

Der Mehrwert von Sprachsteuerungs- und Assistenzlösungen bei der Steuerung von Maschinen und Prozessen liegt dabei auf der Hand. Die meisten Arbeiter tragen Handschuhe, oder die Hände werden für die Benutzung von Werkzeugen o.ä. benötigt. Sind die Hände frei, kann der Mensch flexibler arbeiten. Auch im medizinischen Bereich entsteht ein relevanter Mehrwert durch alternative Interaktionsformen (Stichwort Sterilität). Sprache ist das effizienteste Kommunikationsmedium, mit dem sich selbst komplexe Aufgaben sehr einfach an ein System oder eine Maschine delegieren lassen. Sprachsteuerung kapselt verschiedene Anwendungen und Datenquellen zu einer einheitlichen Bedienschnittstelle (z.B. lokale Funktionen + Backend-Dienste) und bietet so einen einfachen und schnellen Zugang zu heterogenen Datenquellen. Bei körperlichen und sensorischen Beeinträchtigungen können alternative Interaktionsformen die Bedienung einer Technologie überhaupt erst ermöglichen (z.B. bei Sehschwächen oder motorischen Einschränkungen) und tragen somit entscheidend zur Barriere-Freiheit bei. Im Bereich der Automatisierung und Qualitätssicherung können Interaktive Handbücher für Produktionsaufgaben, Rüstprozesse und Fertigung von Bauteilen zum Einsatz kommen. Die Datenqualität wird durch die Vermeidung von Medienbrüchen durch direkte Eingabe von Daten in IT-Systeme und das Wegfallen von handschriftlichen Aufzeichnungen gesteigert.

Auch zur Effizienzsteigerung in der Verwendung von Unternehmenssoftware tragen Sprachsteuerungslösungen bei, und zwar bei Desktopanwendungen im Büro ebenso wie auf mobilen Endgeräten in der Produktionsumgebung. Semantische Suchen wie „Wer waren die umsatzstärksten Kunden im April?“ oder Ausfüllfunktionen im Dialog mit dem System helfen dabei, Zeit zu sparen und den Nutzer zu entlasten. Der dialogische Aspekt ist auch zentral beim Einsatz von Sprachlösungen als persönlicher Assistent: Das System fragt dann zum Beispiel nach der gewünschten Nummer, sollten zum Beispiel mehrere Nummern einer anzurufenden Person vorhanden sein oder hilft bei der vollständigen Erstellung eines Termins:

 

Benutzer: „Rufe Frau Müller an!“

System: „Frau Müller von der Test GmbH oder von der Beispiel AG?“

Benutzer: „Erstelle einen neuen Termin für morgen 16 Uhr.“

System: „Bitte nennen Sie den Betreff!“

Sprachsteuerungs- und Assistenzsysteme sind auf nahezu allen mobilen und stationären Devices (Smart Glasses, Smart Watches, Desktopcomputern und Workstations, Smartphones, Tablets und anderen Handheld Devices) einsetzbar und können als Embedded-, Hybrid- oder Cloud-Lösung ausgeführt werden. Die Nutzung aller Funktionen ist natürlich „hands-free“ möglich, auch multimodal – also nicht nur über Sprache, sondern auch per Touchscreen oder Gesten, und zwar ineinander verzahnt. Der Mehrwert einer solchen Arbeitsweise gegenüber der klassischen ist (oft parallel zum Einsatz in der Produktionsumgebung) offensichtlich:

Produktivität und Effizienz in der Nutzung von Unternehmenssoftware werden durch den Einsatz intelligenter Sprachsteuerungs- und Assistenzsysteme gesteigert
Effiziente, semantische Suche in großen Datenmengen wird möglich
Generierung von intelligenten, systemseitigen Vorschlägen („Recommendation Engine“)
Proaktive Rückfragen des Systems bei fehlenden Informationen, z.B. beim Ausfüllen von Formularen
Einheitlicher, intuitiver Zugang zu heterogenen Daten- und Informationsquellen
Einbeziehung von Kontext- und Personalisierungsinformationen

Mit (optional multimodal ausgelegten) Sprachsteuerungs- und dialogischen Assistenzsystemen wachsen Mensch und Technik enger zusammen – und zwar nach den Spielregeln des Menschen. Die Technik lernt, sich an den Menschen und seine Arbeitsweise anzupassen, indem die menschliche Kommunikation zum Standard wird, und nicht die der Technik. Nur so kann eine effiziente Verzahnung der menschlichen und technologischen Welten erreicht werden, in der der humane Faktor die oberste Instanz und die Referenz darstellt.